Dienstag, 4. Januar 2011


Anatomie eines Mordes (USA, 1959)


Originaltitel: Anatomy of a Murder
Regie: Otto Preminger
Produktion: Otto Preminger
Buch: John D. Voelker (Vorlage), Wendell Mayes
Musik: Duke Ellington
Kamera: Sam Leavitt

James Stewart (Paul Biegler)
Lee Remick (Laura Manion)
Ben Gazzara (Lt. Frederick Manion)
Arthur O'Connell (Parnell Emmett McCarthy)
Eve Arden (Maida Rutledge)
Kathryn Grant (Mary Pilant)
George C. Scott (Claude Dancer, Staatsanwaltschaft)
Orson Bean (Dr. Matthew Smith)
Russ Brown (George Lemon)
Murray Hamilton (Alphonse Paquette)
Brooks West (Mitch Lodwick, Staatsanwaltschaft)
Joseph N. Welch (Richter Weaver)
Duke Ellington (Pie Eye)

Der selbstständige Anwalt Paul Biegler, der seinen Posten bei der Staatsanwaltschaft schon vor längerer Zeit verlor, hat mit großen Fällen wenig am Hut. Er vertreibt sich seine Zeit mit Angeln und der Betreuung seines väterlichen Freundes, dem versoffenen Ex-Juristen Parnell. Nun wird ihm zugetragen, einen großen Prozess als Verteidiger zu führen - einen Mordprozess. Sein Klient, Lt. Manion, der den Vergewaltiger seiner Frau erschoss, verhält sich sperrig und unkooperativ, seine hübsche Frau Laura zieht es vor, mit Biegler zu flirten, statt Sinnvolles zum Fall beizutragen. Außerdem verzwickt sie sich in widersprüchliche Aussagen. Trotz aller Widrigkeiten nimmt Biegler die Verteidigung Manions an. Ein scheinbar aussichtsloses Unterfangen...

In nur zwei Monaten abgedreht stellt Premingers Justizfilm eine Perle des noch jungen Genres dar, sicherlich auch ermutigt durch die (noch heute kanonischen) Kritikererfolge dreier Filme von 1957 mit ebenfalls übermäßigem Gerichtsanteil - jene unter der Regie gewisser Herren namens Kubrick, Wilder und Lumet.

Mit der sympathischen Hauptfigur des unorthodoxen Verteidigers Paul Biegler wird man schon in den ersten Einstellungen schnell warm, sodass der Zugang zum Film letztendlich einfacher ausfällt, als man vielleicht befürchten könnte, denn nur über Identifikationspotential funktioniert eine so zentrierte Juristengeschichte. Auch die meisten der (prominenten) Nebendarsteller hauchen ihren zumeist glaubwürdigen Rollen viel Leben ein, insbesondere George C. Scott, dem der arrogante Großstadt-Staatsanwalt auf den Leib geschneidert ist. Einzig Lee Remicks merkwürdige Symbiose aus Lolita und Femme Fatale (wobei bemerkenswert ist, dass Preminger hier nach seinem Noir-Glanzstück "Laura" (1944) eine fast identische Figur mit eben jenem Vornamen fokussiert) kam bei mir trotz ihres Engelsgesichts nicht vollständig an, wirkte in ein paar Szenen unfreiwillig komisch, darüber kann man jedoch getrost hinwegsehen.
1959 war der Film aufgrund seiner Thematisierung von Vergewaltigungen und unehelichem Sex sowie seines im wahrsten Sinne des Wortes "schlüpfrigen" Vokabulars eine kleine Skandalnudel, wurde teilweise sogar nicht aufgeführt. Einige Moralapostel, darunter sogar James Stewarts Vater, riefen öffentlich zum Boykott auf. Auch wenn einige, zweifelsohne nicht alle (!), pikanten Details aus heutiger Sicht eher amüsieren, so waren sie doch für die damalige Zeit (und in den immer schon prüden USA sowieso) bahnbrechend und wegweisend für aktuellere Produktionen, wie auch immer man dazu stehen mag. Der Österreicher Preminger hatte damit wohl jedenfalls kein Problem. Dieser Aspekt soll aber keinesfalls davon ablenken, dass man insgesamt einen durchdachten, schlüssigen, mitunter durch pointierten Wortwitz gewürzten aber dennoch ernsten und mit Freude an der Sache inszenierten und von zahlreichen Stars gespielten Justizfilm vor sich hat, den trotz zweieinhalb Stunden keine nennenswerten Längen lähmen. Der Soundtrack ist zwar relativ sparsam eingestreut, die Klänge der Jazz-Legende Duke Ellington, der auch einen Cameo-Auftritt hat, sind aber passend und erinnern an die Musikkulisse(n) der schwarzen Serie. Zwar bleibt der große Knall gen Ende, wie zum Beispiel bei Billy Wilders "Zeugin der Anklage", aus, jedoch spricht nichts dagegen, auch einen geradlinig konstruierten Film vollends gutzuheißen, wenn dieser derart konsequent in den richtigen Bahnen verläuft.

8/10




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