Mittwoch, 24. Februar 2010


Shutter Island (USA, 2010)

Originaltitel: Shutter Island
Regie: Martin Scorsese
Produktion: Brad Fischer, Mike Medavoy, Arnold Messer, Martin Scorsese, Dennis Lehane, uvm.
Buch: Dennis Lehane (Romanvorlage), Laeta Kalogridis
Kamera: Robert Richardson

Leonardo DiCaprio (U.S. Marshall Teddy Daniels)
Mark Ruffalo (U.S. Marshall Chuck Aule)
Ben Kingsley (Dr. Crawley)
Max von Sydow (Dr. Naehring)
Michelle Williams (Dolores Daniels)
Emily Mortimer (Rachel Soldano #1)
Patricia Clarkson (Rachel Soldano #2)
Jackie Earle Haley (George Noyce)
John Carroll Lynch (Deputy Warden McPherson)
Elias Koteas (Andrew Laeddis)

1954 - Der durch Erinnerungen an den Krieg und den Tod seiner Frau geplagte U.S. Marshall Teddy Daniels und sein neuer Partner Chuck Aule untersuchen auf einer Insel vor der Küste Massachussetts', die eine akribisch gesicherte Anstalt für kriminelle Geisteskranke beherbergt, das Verschwinden der Patientin Rachel Soldano, die ihre drei Kinder umbrachte. Verhindert zunächst ein Unwetter seine Abreise, muss er bald erkennen, dass die Anstaltsleitung etwas zu verbergen hat und sich wohlmöglich der für tot gehaltene Mörder seiner Ehefrau Dolores, Andrew Laeddis, als unregistrierter Insasse Nr. 67 auf der Insel befindert. Zunehmend verliert er die Kontrolle über sich, als sich Lüge an Lüge reiht und eine körperliche wie geistige Zerstörung Herr über ihn wird...

Einige Zeit war es ruhig um Martin Scorsese. Seit "The Departed" (2006) wagt er sich nun endlich wieder an ein großes Kinoprojekt - Die Verfilmung des gleichnahmigen Romans von Dennis Lehane (welchen ich nicht gelesen habe). Zwar hat Scorsese seinen Stammschauspieler Leo DiCaprio dabei, betritt aber ansonsten mit einem Psychothriller völlig neue Wege weit fernab der von ihm inszenierten Gangsterhits wie "Casino" und "GoodFellas".

Von der ersten Minute an braut sich eine bedrückende Stimmung zusammen: Eine Fähre durchbricht den dichten Nebel. Derweil entweiht der sichtlich mitgenommene Hauptprotagnist die verdreckte Schiffstoilette ob seiner Seekrankheit. Und als sich der unheilvolle Felsenkoloss von "Shutter Island" auftürmt, wird einem klar, dass hier nichts Gutes in Gange ist. Die Atmosphäre ändert sich auch nicht, sondern verdunkelt sich weiter, als Teddy es mit den zwielichtigen Gestalten innerhalb und außerhalb des Hochsicherheitstraktes zu tun bekommt. Der hämmernd monotone Score droht einen dabei fast zu zerquetschen. In diesem Film gibt es keine Sonne, der wolkenverhangene Himmel weicht einem permanenten Unwetter und je weiter Daniels in den unwirkliche Realität des Anstaltsmolochs vordringt desto tiefer saugt dieser ihn psychisch auf. Die dabei immer wieder eingestreuten grausamen Erinnerungen an die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau und die surrealistischen grellen Traumsequenzen und unheimlichen Halluzinationen martern nicht nur die Figur, sondern auch den Zuschauer. Scorsese greift zwar auch auf die genretypischen kleinen Schockmomente zurück und einige enstellte Insassen lassen es einem wie im Horrorfilm kalt den Rücken runterlaufen, dabei verlässt er sich aber vor allem auf die Suggestivkraft seiner düsteren Bilder auf der gottverlassenen Insel und in feuchten Kellergewölben sowie die innere Zerrissenheit seines Hauptdarstellers, der letztendlich nicht mal mehr seinen geliebten Zigaretten trauen kann, sodass "Shutter Island" auch ohne die genannten Horrorelemente glänzend funktioniert hätte. Mit aber eben auch, denn sie sind nur, wie es auch sein sollte, Beiwerk und nicht der ganze Aufhänger des Films (oft genug geschehen). Bis auf minimale Schnittfehler ist der Film eben handwerklich perfekt inszeniert.

Ich möchte die letztendliche Auflösung der Handlung wie auch den detaillierten Weg dahin, der, das sei gesagt, hochspannend und verwirrend ist, nicht verraten, aber, und das ist dann doch wieder Scorseses Handschrift, nichts ist so, wie es scheint und als das eigentliche Puzzle gelöst zu sein scheint, nimmt der Spannungsbogen wieder Fahrt auf, der Film reißt ab und lässt einen unwissend im Kinosessel zurück. So gesehen muss man die Vermutungen derjenigen, die schon anhand des Trailers zu wissen glaubten, worauf das Ganze hinauslaufen wird, glücklicherweise abschmettern. Das offene Ende offenbahrt keine Wahrheit.

Hauptdarsteller DiCaprio beweist mal wieder, dass er zu einem richtigen Charakterdarsteller gereift ist und mit dem Sonnyboy früherer Tager nicht mehr viel gemein hat. Bis auf minimale Unsicherheiten geht er in der kaputten Figur auf und nimmt den Zuschauer mit auf seine emotionale und psychische Achterbahnfahrt. Auch ansonsten ist dieses - und jetzt verwende ich den Begriff zum ersten mal - meisterliche Werk famos besetzt und die Leistungen dementsprechend. Auch die kleinen Scherze der Ruffalo-Figur zu Beginn des Films wirken nicht deplaziert. Sir Ben Kingsley meldet sich als warmer wie skrupelloser Doktor nach einigen Fehltritten in letzter Zeit endlich wieder in der oberen Liga zurück. Die Legende Max von Sydow lebt seine anbiedernde Figur.

Insgesamt bleibt mir zu sagen, dass das endlich mal wieder ein Film war, der mich mitgenommen und verstört, nicht nur unterhalten hat. Ich weiß nicht, wann das das letzte mal der Fall war (auf Kino bezogen). Mr. Scorsese beweist, dass er einer der letzten großen Regisseure ist und anscheinend alles drehen kann, ohne dass es gezwungen wirkt. Sein unheimlich atmosphärisch dichter Psychothriller ist für mich jetzt schon einer der Filme des Jahres. Da zu einem gänzlich ungünstigem Zeitpunkt erschienen, wird er wohl aber bei den nächsten Academy Awards nicht berücksichtigt werden. Den oberflächlichen Optikblender "Avatar" (recht gut aber vollkommen überbewertet), mein letzter Film im Kino, steckt er locker in die Tasche. Ein oppulentes, bitterböses Kinoereignis mit Anspruch auf Sitzfleisch, Nerven und Hirn. Für mich ein Meisterwerk! Scorsese hat mit diesem Beitrag das Genre meiner Meinung nach redefiniert und ich würde ihn ohne Bauchschmerzen in einem Atemzug mit Hitchcocks "Psycho" nennen.

9/10

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